Todesmarsch
Ein Zug des Grauens durch die Stadt

Neunburgs dunkelste Stunden Ende April 1945: SS-Männer erschossen beim Todesmarsch evakuierte Häftlinge des KZ Flossenbürg.

15.04.2015 | Stand 16.09.2023, 7:08 Uhr
Karl-Heinz Probst
Vom Plattenberg wurden die Toten durch die Vorstadt (Foto) zum Friedhof getragen. −Foto: Nationalarchiv Washington/Yad Vashem

Im Sommer 1944 setzte die Evakuierung von Häftlingen der Konzentrationslager angesichts des Heranrückens der alliierten und russischen Truppen ein. Im Januar 1945 kamen Insassen des KZ Auschwitz nach Flossenbürg, Transporte aus Sachsenhausen und Buchenwald folgten in den nächsten Wochen. Mitte April 1945 begann die SS auch im KZ Flossenbürg in mehreren „Todesmärschen“ mit der Evakuierung. Das Ziel war Dachau.

Am 21. April 1945 trieben SS-Männer Hunderte ausgemergelter KZ-Häftlinge in einem Zug des Grauens durch Neunburg Richtung Süden. Wer von den Häftlingen nicht mehr weiter gehen konnte, wurde von den Wachmannschaften erschossen oder erschlagen und in provisorischen Massengräbern auf dem Plattenberg und im Zeitlarner Hölzl verscharrt. Hunderte ausgemergelter Häftlinge, nur notdürftig bekleidet, campierten in eiskalter Nacht in der Allee zwischen Bahnhofstraße und Amberger Straße. Die Neunburger Bevölkerung versuchte die Not der Bedauernswerten zu lindern. Die SS-Männer hielten sie jedoch mit Gewalt davon ab. Trotzdem gelang es einigen mutigen Frauen zum Beispiel Kartoffeln in das Lager zu werfen. Auch Benefiziat Friedrich Frank setzte sich für eine bessere Versorgung der Häftlinge ein. Bürgermeister Carl Maierhofer forderte von der SS-Führung den sofortigen Abzug, weil er angesichts der nahenden US-Truppen um die Sicherheit der Stadt fürchtete.

Befreiung durch US-Army

Zwei Tage nach dem Weitermarsch des Elendszuges rückten US-Soldaten in die Pfalzgrafenstadt ein. Nur kurze Zeit später holten sie die Evakuierungskolonnen ein und befreiten die Häftlinge. Die Neunburger Bevölkerung musste nun für das büßen, was die SS-Schergen verschuldet haben. Parteifunktionäre, aber auch völlig unbescholtene Bürger, wurden von den US-Soldaten unter Mithilfe der zurück gekehrten, befreiten KZ-Häftlinge zusammengeholt und mussten auf dem Plattenberg die notdürftig bestatteten, bereits in Verwesung übergegangenen Leichen wieder ausgraben, säubern und in eiligst gezimmerte Särge legen. Diese hatten die örtlichen Schreinereien in Tag- und Nachtarbeit gefertigt.

Am 29. April 1945, einem Sonntag, wurden Jugendliche, Frauen und Männer gezwungen, die offenen Särge mit den mehr als 200 Leichen vom Plattenberg durch die Vorstadt zum Friedhof an der Rötzer Straße zu tragen. Die restliche Bevölkerung, auch Kinder ab sieben Jahre, hatte sich entlang des Weges aufzustellen und den Toten die letzte Ehre zu erweisen. Wer wegschaute, wurde von den Aufpassern rigoros bestraft. Anschließend hatten sich alle hinter dem Zug einzureihen mit dem Ziel Friedhof.

Dort wurden die Särge vor dem Leichenhaus aufgestellt und das makabre Defilee begann erneut. Wer dabei die Toten nicht so anschaute wie es die Aufpasser wollten, wurde zurück beordert und musste noch einmal vorbeigehen. Gegen 13 Uhr war diese Zurschaustellung beendet, die Frauen und Kinder duften wieder heimgehen. Die Toten wurden dann im westlichen Teil des Friedhofes ohne kirchliches Zeremoniell in zwei Reihengräbern bestattet. Auch hier kam es immer wieder zu Übergriffen auf die Deutschen, wenn das Prozedere nicht so verlief, wie es gewünscht war. Um 16 Uhr hatte die Bestrafung und Demütigung der Neunburger ein Ende.

Fotografiert und gefilmt

US-Kameramänner hielten Szenen dieser Aktion, die von 7 bis 16 Uhr dauerte, auf Zelluloid fest. Dokumentiert wurden etwa das Formieren der Marschkolonne Richtung Plattenberg bei der Grünanlage an der Bahnhofstraße und Szenen auf dem Friedhof. Der Bildberichterstatter Pat Coffey machte Fotos von den Vorgängen, die im Armee-Magazin „Yank“ abgedruckt wurden, einige Aufnahmen blieben bis in die 90er Jahre unveröffentlicht.

1949 begann man in mit der Errichtung des KZ-Ehrenfriedhofs am Fuße des Plattenberges. 615 Opfer des NS-Regimes fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Am 17. Juni 1950 wurde der Friedhof im Beisein des Präsidenten des Bayerischen Landesentschädigungsamtes, Dr. Philipp Auerbach, und Vertretern des Finanz- und Innenministeriums, der Regierung der Oberpfalz, des Landeskreises und der Stadt seiner Bestimmung übergeben. Von den Bestatteten ist übrigens nur einer namentlich bekannt: der Kunsthistoriker und Pazifist Dr. Gottfried Hermann Wurz aus Stuttgart. Er war zuerst in einem Sammelgrab in Pillmersried beerdigt. Hatte der Landkreis zunächst die Pflege und Wartung des Friedhofs übernommen, so war von 1952 bis 2013 die Bayerische Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen dafür zuständig; seit 2013 liegt die Betreuung bei der Stiftung Bayerische Gedenkstätten.