Comic
Peanuts: Kinderwelt, aber kein Kinderkram

Das Scheitern als ewiges Schicksal: Charlie Brown und seine Freunde feiern am 2. Oktober den 60. Kindergeburtstag.

02.10.2010 | Stand 16.09.2023, 21:06 Uhr

Regensburg.Eine Comic-Figur erblickt das Licht der Welt und ihr Schicksal ist besiegelt. Charlie Brown, der am 2. Oktober 1950 im ersten von rund 18.000 Strips auftaucht, ist vom ersten Augenblick an ein Außenseiter. Ein unbenannter Junge kommentiert Charlies Auftritt mit den Worten: „Sieh mal, da kommt der gute, alte Charlie Brown“ (Bild eins). „Tatsächlich... Der gute, alte Charlie Brown“ (Bild zwei), „Der gute, alte Charlie Brown...“ (Bild drei), „Wie ich ihn hasse!“ (Schlussbild). Die Weichen sind gestellt. Die Kinderwelt, die der Comic-Autor Charles M. Schulz erschafft, ist alles andere als heil und mit jedem Neuzugang wird sie heilloser.

Angst vor der Zukunft

Am 9. November 1950 vertraut Charlie Brown einer Freundin an, dass er sich Sorgen mache um die Zukunft. „Aber warum denn? Du bist jung und voller Leben“, antwortet sie. „Du hast wahrscheinlich noch sechzig Jahre vor dir!“ – „Das ist es ja, was mir Angst macht“, erwidert Charlie Brown. Nun feiert Charlie Brown seinen 60. Geburtstag und ist der Held des weltweit erfolgreichsten Comic-Strips: Die Peanuts.

Zu jeder der Peanuts-Figuren ließe sich etwas speziell Liebenswertes schreiben. Da haben wir Linus, der so sehr an seiner Schmusedecke hängt, dass er unter Panikattacken leidet, wenn er sich nicht daran kuscheln kann. Fiesling Lucy entwickelt sich zu Charlie Browns Albtraum. Schroeder klimpert hingebungsvoll auf seinem Kinderklavier und verehrt Beethoven. Sally hasst die Schule und begehrt gegen die Zumutungen des Alltags auf. Da wären auch Patty mit ihren chronischen Vier-minus-Noten, Marcie, die auf alles französisch-nüchtern reagiert, und natürlich der Hund Snoopy. Mit der Figur Snoopy beweist Schulz sein Gespür für Absurdes. Snoopys überbordende Tagträume liefern Stoff für abgedrehte Episoden. Er schlüpft in Rollen wie die des Flieger-Ass aus dem Ersten Weltkrieg oder des weltberühmten Schriftstellers, dessen Romane mit dem Klischeeklassiker „Es war eine dunkle und stürmische Nacht...“ beginnen. Ein Kunstgriff ist das kleine rothaarige Mädchen, Charlie Browns große Liebe, die der Leser nie zu Gesicht bekommt. Mehr Sehnsucht geht nicht.

Keine Erwachsenen in der Serie

In der Serie tauchen keine Erwachsenen auf. Kinderkram ist das Ganze deshalb aber nicht. Schulz’ Comic funktioniert auf zwei Ebenen – mindestens. Wohl deshalb zog die Ausstellung über die 60 Jahre der Peanuts beim Comic Salon in Erlangen so viele Besucher an. Die Strips sind gut für ein Schmunzeln. Aber hinter jedem Gag steckt bei Schulz auch jede Menge Philosophie. Allen Figuren gemeinsam ist ihre Suche nach dem Glück, ihr Streben danach verleiht dem Werk einen humanistischen Zug. Andreas Knigge schreibt in „Das große Peanuts-Buch“: „Charlie Brown ist die Verkörperung all dessen, was niemand sein will, um keinen Preis. Kaum jemand mag ihn, keiner versteht ihn, jeder hackt auf ihm herum. Doch mit seinem Stoizismus und der Fähigkeit, die Grausamkeiten des Alltags zu ertragen, schafft er es, in einer feindseligen und irre gewordenen Welt dennoch zu bestehen und dabei nicht die Hoffnung zu verlieren.“ Deshalb ist Charlie Brown auch kein Verlierer. Ein Verlierer gibt irgendwann auf. Charlie Brown nimmt jedes Jahr wieder Anlauf, um den Football zu kicken, den Lucy hält.

Die Strips der Peanuts sind ein wundersamer Mikrokosmos aus menschlichen Ängsten, Neurosen und Vorstadtleben. Schulz selbst hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Alle Liebschaften sind unerwidert, alle Baseball-Spiele werden verloren, alle Testergebnisse sind D-minus, der große Kürbis kommt niemals und der Football wird immer weggezogen.“ Die Vorhersagbarkeit des Scheiterns ist das wiederkehrende Element.

Ein moderner Sisyphos

In dem Verhalten der Kindergestalten finden sich die Nöte und Sorgen der Erwachsenen wieder. Die Probleme werden in der Optik einer kindlichen Psychologie erlebt, weshalb sie uns „hoffnungslos betroffen machen“, analysiert der Semiotik-Professor Umberto Eco. Mit seinem unschuldigen Herzen, ergänzt Eco, und seiner unerschrockenen Suche nach Zärtlichkeit sei Charlie Brown ein moderner Sisyphos. Rheta Grimsley Johnson führt in ihrer Schulz-Biografie „Good Grief“ aus: „Schulz verfügt über die Gabe (...) die Enttäuschung seiner frühen Kindheit wieder aufleben zu lassen. Sich nicht nur an sie zu erinnern, sondern sie zu empfinden, und das mit außerordentlichem Feinsinn. Für ihn existiert keine wirkliche Trennlinie zwischen Kindheit und Erwachsensein. Nicht in dem, was uns bewegt, nicht in dem, was uns erschüttert, nicht in dem, was uns verletzt. Vor allem nicht in dem, was uns verletzt.“

Nach Schulz’ Tod 2000 erwiesen ihm zahlreiche Comic-Zeichner ihre Hochachtung, indem sie eine Peanuts-Episode zeichneten. Bei Garfield-Zeichner James Davis sah das dann so aus: Der fette, behäbige Kater Garfield steht vor Snoopys Hundehütte, aber die Hütte ist leer und verlassen, und als er sich in typischer Snoopy-Pose auf das Dach legt und in den Himmel guckt, denkt er nur: „Irgendwie ist es nicht dasselbe.“